Von Passau aus Europa mitbauen

Vor welchen Herausforderungen steht Europa? Welche Rolle werden die Kommunen spielen? Diese und weitere Zukunftsfragen sprach am Donnerstag im Konzertsaal der Europäischen Wochen Prof. Dr. Martin Selmayr bei der Veranstaltung „Europa und die Kommunen – Wie man von Passau aus Europa mitbauen kann“ an.

Er sollte wissen, wovon er spricht: Selmayr ist Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich und war Kabinettschef des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und Generalsekretär der EU-Kommission. Die Veranstaltung war der Auftakt einer Event-Reihe des Vereins Impulse für Passau e.V. Dieser wurde Ende vergangenen Jahres gegründet und versteht sich als überparteilicher Think Tank und Vernetzer für Stadt und Region Passau. Ziel sei es laut dem Vorsitzenden Dr. Fritz Audebert, die Region „durch Vor-, Um- und Nachdenken nach vorne zu bringen“. Seinem Stellvertreter Georg Steiner, sei „unabhängig vom Wahlausgang“ die Entwicklung Passaus ein wichtiges Anliegen. Der Verein möchte durch Foren, Veranstaltungen und Vorträge Inputs für die Entwicklung der Stadt liefern. Auf weite Sicht plane der Verein Publikationen und Aktionen, um Zukunftsprojekte für Passau zu initiieren.

 

„Passau war das äußerste Ende der Welt“

Martin Selmayr blendete auf seine Studienzeit in Passau zurück. „Damals, vor 30 Jahren, war Passau das äußerste Ende Europas“, meinte Selmayr. Heute hingegen sei die Stadt dank der Erweiterung der EU und der zunehmenden Vernetzung „mitten in der Welt“. Die EU galt für den ehemaligen Generalsekretär der Europäischen Kommission lange als Garant für Wohlstand und Sicherheit. Doch in den letzten Jahren hätten drei transformative Momente diese Gewissheiten ins Wanken gebracht. Hierzu zählte er das gewaltsame Verschieben der Grenzen in der Ostukraine, das Ergebnis des Brexit-Referendums und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Vor allem der letzte Punkt führe zu einem veränderten Selbstverständnis der EU. Da Trump die EU als größte Gefahr für die USA bezeichnet, stelle dies das Ende des amerikanischen Schutzschirms über Europa dar. „Die Europäer müssen jetzt erwachsen werden“, resümiert Selmayr.

 

Dabei müsse sich die EU auf das Wesentliche fokussieren. Der Begriff „Subsidiaritätsprinzip“ fiel an diesem Abend häufig. Dieses Prinzip stellt einen Grundsatz der EU-Politik dar. Es besagt, dass die EU nur die Bereiche regelt, in denen gemeinsames Handeln bessere Ergebnisse für alle Beteiligten hervorbringt. Alle anderen Bereiche sollen Bund, Länder und Kommunen selbstständig verwalten. Der Luxemburger Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dessen rechte Hand Selmayr lange Zeit gewesen ist, habe versucht, diesem Ansatz stets gerecht zu werden und nur tatsächlich notwendige Verordnungen und Richtlinien zu erlassen. „Es sind aber gerade die deutschen Minister, die stetig neue Gesetze von der EU fordern“, stellte Selmayr fest.

Die großen Themen der Zukunft seien laut dem EU-Beamten der Klimawandel und die Digitalisierung. Bei Ersterem sei es besonders wichtig, dass die Mitgliedsstaaten zu einer gemeinsamen Einigung kommen. Auch wenn die EU nur für 9 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist, würde eine Klimaeinigung innerhalb kurzer Zeit zum Weltstandard werden. Grund hierfür sei neben der moralischen Vorreiterrolle die wirtschaftliche Stärke Europas. Ebenso müsse die EU beim Thema erneuerbare Energien schnell vorangehen und Weltmarktführer werden.

Die Digitalisierung war das zweite große Zukunftsthema, über das Selmayr referierte. Hierbei sei die Frage nach dem richtigen Umgang mit Daten wesentlich. „In China beispielsweise gehören alle Daten dem Staat und der Mensch muss sich unterordnen.“ In Amerika herrsche ein „Wilder Westen der Daten“, bei dem die Unternehmen die Daten für kommerzielle und politische Zwecke frei verwenden könnten. Selmayr sieht deshalb für Europa ein drittes Modell vor, in dem von der Bevölkerung Regeln für die Datenwirtschaft aufgestellt werden sollen. Mit dem Inkrafttreten der DSGVO sei dieses Modell nun verwirklicht worden. „Mit dem Erlass identischer Gesetze in Japan und Kalifornien zeigt sich ein weiteres Mal, wie europäische zu weltweiten Standards werden“, erläuterte der Jurist.

Auch beim Thema Migration und Grenzschutz sieht er die EU in der Verantwortung. Er ist überzeugt: „Wir müssen solidarisch zu Griechenland stehen.“ Die Unterstützungsgelder in Höhe von rund 700 Millionen Euro zur Bekämpfung der humanitären Krise an der griechischen Grenze und auf den Inseln sei deshalb der richtige Weg.

„Wir brauchen ein Europa zum Anfassen“

Selmayr stellte aber auch Grenzen des Subsidiaritätsprinzips fest. Durch den Fokus auf die „großen Bereiche“ der Politik sehe der Bürger oft nicht, was die EU für ihn tue: „Maßnahmen wie die direkte Finanzierung von drahtlosem Internet für 8000 Gemeinden sind deshalb notwendig, um die Akzeptanz für die EU innerhalb der Bevölkerung zu stärken.“

Er plädierte deshalb: „Wir brauchen ein Europa zum Anfassen.“ In Österreich gebe es in jeder Gemeinde einen EU-Gemeinderat, der für sämtliche Europafragen zuständig ist und den Leuten vor Ort die Arbeit der EU besser erklären kann. Diese direkte Verknüpfung von Europa und Gemeinden solle als Vorbild für Deutschland dienen. „Ich wünsche mir, dass es demnächst auch einen EU-Gemeinderat für Passau gibt“, sagte Selmayr, „denn Europa entsteht von unten!“

Klaus Kloiber